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AutorenbildJ.-G. Heurteloup

Le Lever de Monsieur oder dialogue d'un maître à son domestique

Aktualisiert: 30. Aug. 2023

Von Christian Robardey


In einem Workshop zum Thema Benimm im Empire mit Dr. Martin Klöffler, zu welchem Cecilia und André Hanselmann Alessandra und mich von nunmehr zehn Jahren eingeladen hatten, lernten wir die zweisprachigen Dialoge aus der Nouvelle grammaire allemande-pratique [1] des Sprachlehrers Johann Valentin Meidinger kennen. Dieser hatte sie als dialogues pour s’exercer à prononcer gedacht [2]. Der Romanist (1756 - 1822) führte in Frankfurt zusammen mit seinem Bruder eine Sprachschule für Französisch und Italienisch und gab im Laufe seines Lebens zusammen mit diesem eine Reihe von französischen und deutschen Grammatiken heraus.[3]

Bereits in seiner practischen französischen Grammatik [4] von 1783 finden sich bei Meidinger Modelldialoge, welche dem Schüler das Erlernen der französischen Sprache ermöglichen sollen.


Für Les Soirées Amusantes sind die Konversationsbeispiele aus den Meidinger Grammatiken hingegen aus zwei anderen Gründen von Interesse. Einesteils liefern sie uns aus heutiger Perspektive Hinweise über die sprachlichen Umgangsformen im späten 18. Jahrhundert. So treten darin über die unterschiedliche Wahl der Anredepronomen und die Formulierung von Sprechakten die hierarchischen Unterschiede zwischen Herr und Diener klar zutage [5]. Andernteils liefert so mancher Meidinger Dialog in Ansätzen gemäss der script and frames eine Idee, wie Alltagsgespräche und Handlungsabläufe im 18. Jahrhundert in ihren Grundstrukturen funktionierten.

So entstand die Idee, den Stoff des Dialog in einen Kurzfilm zu verwandeln https://www.youtube.com/watch?v=7n3RY7LK8sI. Diesen konnten wir dank der grosszügigen Unterstützung von Frau Dr. Barbara Braun, Michael Keller und Kurt Schütz auf Schloss Jegenstorf drehen. Dass wir diesen dabei auf Meidingers französischem Text beruhend umgesetzt haben, liegt vor allem daran, dass Fabrice lieber in seiner Muttersprache spricht.


Benimm im Empire. Was hat das nun mit dem 18. Jahrhundert zu tun?


Meidingers Herr-Diener-Dialog findet sich bereits in einer Ausgabe von 1797 [6]. Diese wiederum preist sich auf dem Titelblatt als «nouvelle édition revue et corrigée» an. Ein Vergleich des Dialogtexts mit der Ausgabe von 1801 ergibt, dass der Autor darin lediglich eine grammatikalische Änderung hinsichtlich einer Imperativkonstruktion vorgenommen hat [7]. Daran zeigt sich, dass Meidinger darum bemüht war, dem aktuellen Sprachstand des Französischen Rechnung zu tragen. Inhaltlich hingegen nahm er keine Änderungen vor. Dies ist umso erstaunlicher, als die im Text zur Sprache kommenden Textilien und Accessoires nicht mehr der gängigen Realität des frühen 19. Jahrhunderts entsprachen. Einerseits fragt der Diener, ob der Herr das Halstuch «mit den Spizzen, und Manschetten von eben dem Muster tragen» wolle [8]. Anderseits verlangt es den Herrn nach einer Weste, deren «Franze […] ganz losgerissen [ist]» [9]. Die mit Frangen besetzten Westen verweisen jedoch auf die Mode der späten 1780er Jahre und Spitzenmanschetten und Spitzenkrawatten sind im frühen 19. Jahrhundert weitab vom Hof ebenfalls aus der Mode. Schliesslich will der Herr mit «Stok und Degen» [10] aus dem Haus, wobei letzterer bereits in den späten 1780er als Accessoire der Pariser Alltagsmode verschwunden war. Da nun der Text von 1797 sowohl von seiner Sprache als auch aufgrund seiner konservativen Elemente noch klar im 18. Jahrhundert verankert ist und das Deckblatt der Ausgabe von 1797 auf eine Vorgängerausgabe verweist, die ich jedoch nicht habe finden können, schien es mir legitim, die Handlung auf die frühen 1790er anzusetzen und die archaischen Elemente entsprechend unserer persönlichen Ausstattung aus dem Text zu streichen.


Kein pfannenfertiges Szenario


In Meidingers Grammatik gliedert sich der Dialog zwischen Herr und Diener in drei graphisch getrennte und nummerierte Abschnitte. Diese fügen sich nicht nahtlos zu einem in sich stimmigen Gespräch, sondern können als in sich abgeschlossene Einzelsequenzen gelesen werden. Aus diesem Grund haben wir – wie auch schon in unserem Kurzfilm La leçon d’allemand – Meidingers Text gekürzt und die drei einzelnen Textteile chronologisch teilweise so umorganisiert, dass sich daraus ein stimmiges Ganzes ergibt. Zudem liefert Meidinger aus verständlichen Gründen keinerlei kontextuelle Informationen. Unsere Aufgabe bestand also darin, bezüglich der Handlungen und der Gestik die Leerstellen des Textes mit Kontextwissen zu füllen. Ein Beispiel: Bei Meidinger besteht nach dem Wunsch nach Tee der zweite Befehl des Herrn darin, der Diener solle ihm die Hosen bringen. Als er sie angezogen hat, schlüpft der Herr in seine Pantoffeln. Danach zieht er sich fertig an. Davon, dass er sich wäscht, steht bei Meidinger kein Wort. Wenn wir uns also streng am script der ersten Sequenz von Meidingers Dialog orientieren würden, würde der Herr ganz ohne morgendliche Körperhygiene seine Kleider anlegen. Dass dies jedoch wenig plausibel ist, sagt uns nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch die zeitgenössische Ikonographie und Primärquellen, welche die Morgentoilette und die hierfür nötigen Artikel zum Inhalt haben.


Culotte oder Strümpfe nach dem Wunsch nach Tee?


Wie sollen wir uns unseren Herrn vorstellen, wenn er das Wort ergreift? Es schien mir naheliegend, dass er noch im Bett liegt. Denn, wäre er schon aufgestanden, warum liefe er barfuss im Zimmer herum, wenn er darauf insistiert, dass ein Feuer entfacht werde? Unser Herr liegt also lediglich mit einem Hemd bekleidet [11] – das er offenbar laut eigener Aussage schon seit vier Tagen trägt – im Bett und zieht dann seine Pantoffeln an.


Jean Huber, Le Lever de Voltaire, um 1767 - 1772, Musée d'Art et d'Histoire, Genf, Quelle: https://collections.geneve.ch/mah/oeuvre/le-lever-de-voltaire/1923-0028 Ich danke Jelger Bakker für diesen interessanten Bildhinweis.


Gewiss hätte er wie Voltaire auf diesem Bild davor gleich nach dem Aufstehen seine Hosen anziehen können. Doch in Bezug auf die Intimpflege schien mir diese Option wenig praktisch. Dass er zuerst nach den Strümpfen verlangt, mag an der Kälte liegen, er hätte aber auch ohne sie an ein stilles Örtchen verschwinden können. Denn bei Meidinger verlangt der Herr erst nach den Strümpfen, als er seine Culotte trägt. Warum unser Herr für gewisse Geschäfte im Nebenzimmer verschwindet, liegt einerseits daran, dass wir in unserem Kurzfilm gewisse Dinge nicht explizit haben zeigen wollen und andererseits daran, dass während dieser kurzen Abwesenheit Kammerzofe Ninon, Kammerdiener Jean und zur Körperhygiene wichtige Requisiten in den Fokus rücken können.


Schwamm oder Bürste?


Jeder kennt die Waschbecken aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, als es noch nicht in jedem Haushalt fliessendes Wasser gab. Am Ende des 18. Jahrhundert waren Wasserkrug und Becken in luxuriösen Haushalten aus massivem Silber. Im April 1789 wirbt Lebrun in seinem Modejournal etwa für ein ganz besonders luxuriöses Modell [12]. Er rechtfertigt diese Werbeanzeige folgendermassen:


Tant que les aiguières n’ont eu qu’une forme simple, qu’elles n’ont pas mérité d’être distinguées des pots à l’eau ordinaires, en argent ou argentés, nous avons, pour ainsi dire, dédaignés d’en inséré dans nos Cahiers, mais aujourd’hui qu’elles reçoivent une décoration, qu’elles peuvent devenir et qu’elles deviennent, en effet, un objet de luxe & de mode, nous nous empressons de les faire connoître et de les annoncer.


Solange die Waschkrüge bloss von einfacher Form waren, verdienten sie es nicht von den gemeinen Wasserkrügen, seien diese auch von Silber oder versilbert, unterschieden zu werden. Wir haben es sozusagen verschmäht, über solche in unserem Journal ein Wort zu verlieren. Doch heute, wo sie zum dekorierten Kunstgegenstand geworden sind und in der Tat ein Objekt des Luxus und der Mode werden, bemühen wir uns, sie bekannt zu machen.


Für weniger zahlungskräftige Konsumenten wie unseren Herrn boten die Porzellanmanufakturen preisgünstigere Modelle. Unseres stammt aus einer nicht eindeutig identifizierten Pariser Manufaktur aus den späten 1780er Jahren.


Ein vollgestellter Toilettentisch. Von links nach rechts: Pomadendose, Zahnpuderdose, dahinter die Schachtel mit dem Haarpuder, auf deren Deckel die Puderquaste (franz. houpe). Rasierbecken (franz. plat à barbe), dahinter die boules à savonette et à éponge. Rechts die aiguière et son bassin, davor eine Kopie eines englischen Rasiermessers aus dem 18. Jahrhundert, Seife und Schwamm. Bild: Fabrice Robardey- Ort: Schloss Jegenstorf


Dass das Zähneputzen bei den vermögenden Leuten im späten 18. Jahrhundert bereits gängige Praxis war, zeigen diverse Quellen, worin sich auch Rezepte zur Herstellung von Zahnpulver und Zahnpasten finden:


Quant à l’art de conserver ses dents, il ne s’agit que d’observer la propreté la plus rigoureuse; chaque matin se laver la bouche avec un verre d’eau légèrement animée d’eau-de-vie; passer une brosse à éponge sur ses dents […]. [13]


Was die Kunst anbelangt, die Zähne zu pflegen, so genügt es, dabei auf die peinlichste Sauberkeit zu achten: jeden Morgen sich den Mund mit einem Glas Wasser mit einem Schluck Alkohol auszuspülen und die Zähne mit einer mit einem Schwamm besetzten Bürste abzureiben.


Andere Quellen belegen, dass es sehr wohl schon Zahnbürsten zur Zahnhygiene gab [14], diese jedoch aufgrund der harten Borsten der Gesundheit des Zahnfleisches abträglich waren und Schwämme zum Auftragen des Pulvers bessere Dienste erwiesen. So empfehlen etwa die Ärzte Consbruch und Ebermaier:


Zahnbürsten darf man nur selten brauchen, weil sie das Zahnfleisch abschaben […]. Besser als die Zahnbürsten sind Tücher von nicht zu feiner Leinwand, womit man die Zähne nach dem Gebrauche des Zahnpulvers und dem Ausspülen abreibt. [15]


Auch Hochheimer empfiehlt für das Auftragen von Zahnpulver:


Man bedient sich desselben trocken vermittelst eines Stückchen Waschschwammes, oder auch nur des Fingers. Zahnbürsten sind gar nichts nütze. [16]


In der Tat zeigt meine englische Zahnbürste, deren Punzen sie auf das Jahr 1793 datieren lassen, dass deren Borsten dem Zahnfleisch wenig zuträglich sein dürften, weshalb der Herr sie auch nicht aktiv zum Einsatz brachte und lieber auf den weichen Schwamm Zugriff nahm.


Rasierpinsel oder Finger?

Inwiefern die Rasur im späten 18. Jahrhundert den heutigen Gewohnheiten beim Umgang mit dem traditionellen Rasiermesser bereits ähnlich war, zeigt Jean Perrets Traktat la Pogonotomie [17]. Perrets Text liest sich dabei als Plädoyer für die Selbstrasur, die er vordergründig aus hygienischen Gründen empfiehlt:


On me répondra, peut-être, qu’il y a des barbiers publics pour les uns, et des valets de chambre pour les autres; j’en conviens: mais quels inconvénients n’en résulte-t-il pas? Combien de gens gagnent, par le moyen des rasoirs et savonnettes qui ont servi à raser des personnes malsaines, des dartres, des boutons, et quelquefois des maladies funestes […] ? Tous les instruments dont on s’est servi pour cette opération deviennent les dépositaires des corpuscules et sont capables de communiquer des malpropretés, de maladies désagréables et quelquefois honteuses à celui qui aura le malheur d’être opéré avec la même main et les mêmes instruments. Les seigneurs qui ont des valets de chambre ne sont pas […] si exposés […] à gagner des maladies de la peau, pourvu toutefois que leurs barbiers n’aient […] rasé […] personne qui ait le visage boutonné, dartreux ou malade avant que de raser leurs maîtres.

Mais ce qu’il y a de certain, c’est que les hommes qui se rasent eux-mêmes, ont le visage uni et plus ragoûtant que ceux qui se font raser par des mains étrangères. Comme beaucoup de personnes ont été les victimes de leur inattention à ce sujet, on sent plus que jamais la nécessité de se faire cette opération soi-même. [18]


Man wird vielleicht einwenden, dass es öffentliche Barbiere für die einen und Kammerdiener für die anderen gebe ; dem ist so. Doch, welche Nachteile erwachsen daraus ? Wie viele Leute ziehen sich aufgrund der Rasiermesser und Rasierseifen, welche zur Rasur kranker Personen dienten, Hautekzeme, Pickel und andere schlimme Krankheiten zu ? Alle Gegenstände, derer man sich zur Rasur bedient, verkommen zu Ablagerungsflächen für Erreger, welche denjenigen mit Unreinheiten und unangenehmen oder schändlichen Krankheiten kontaminieren können, welcher das Unglück hat, von derselben Hand und mit denselben Instrumenten rasiert zu werden. Die Herren, welche über Kammerdiener verfügen, laufen weniger Gefahr, von solchen Hautkrankheiten befallen zu werden – sofern ihre Bartscherer davor keine Personen mit pickliger, von Ekzem befallener oder anderweitig kranker Haut rasiert haben. Was jedoch feststeht, ist, dass sich Männer, welche sich selber rasieren, einen weitaus ebenmässigeren und appetitlicheren Hautteint haben, als jene, welche sich von fremder Hand den Bart scheren lassen. Weil so mancher Opfer der eigenen Unachtsamkeit beim Rasieren geworden ist, fühlt man mehr denn je, wie notwendig es ist, diese Prozedur selbst an sich durchzuführen.


Dass sich am Ende des 18. Jahrhundert der Herr von Welt – entgegen der Ikonographie, welche suggeriert, dass sich die Herren in der Regel rasieren liessen – durchaus alleine zu behelfen verstand, legt eine Werbeanzeige im Journal des Luxus und der Moden nahe, wo der Herausgeber Bertuch eine englische Herrentoilette, bzw. Shaving=Table, bewirbt:


In England, wo die Männer sich grösstenteils selbst rasieren, gehört die Shaving-Table, oder ein bequemer Wasch= und Rasier=Tisch, mit unter das elegante Ameublement eines männlichen Wohnzimmers. [19]


Als Hersteller und Vertreiber von Messerklingen interessiert sich der Autor Perret hingegen vorwiegend für die Wahl des Rasierzubehörs und für dessen Handhabung. So geht er genau auf die Wahl des Wetzsteins ein oder die Herstellung des Leders, das man zum Abziehen der Rasierklinge braucht. Eine genaue Abhandlung erfährt die Wahl und Pflege des Rasiermessers, bevor Perret auf die eigentliche Rasur eingeht, die er anhand zweier Kupfer im Detail erklärt. [20] Wichtig für unseren Kurzfilm war mir, dass ich ein Rasiermesser fand, dass von der Form her zu jenen passt, die sich im späten 18. Jahrhundert finden [21].


Der Autor Perret insistiert darauf, dass, wie heute auch, vor der Rasur die Haut mit warmem Wasser vorbereitet und eingeseift werden muss [22]. Dabei erwähnt er, dass die Seife direkt auf die Haut aufgetragen und dann mit dem Finger einmassiert werden kann oder diese mit dem Finger aufgetragen wird, nachdem Wasser mittels der Seife aufgeschäumt worden ist [23]. Dass im späten 18. Jahrhundert jedoch zumindest in England die ersten Rasierpinsel in Gebrauch waren, zeigt ein Original von 1784 aus den National Trust Collections.


Rasierpinsel des Silberschmieds John Robins, datiert auf 1784, Quelle: https://www.nationaltrustcollections.org.uk/results?SearchTerms=shaving+brush+1784


Für unseren Film haben wir ein Original aus den 1820ern aus Silber verwendet, welches einem in England verkauften Original von 1795 gleich sieht und nach demselben Mechanismus wie das Original von 1784 funktioniert. Das Aufschäumen der Seife in einem Becken mit einem nassen Rasierpinsel geht sehr einfach vonstatten.


Bild: Fabrice Robardey. Ort: Schloss Jegenstorf


Dass für die Aufbewahrung der Schwämme, Pulver und Seifen so einige Dosen nötig waren, bestätigt Bertuchs Shaving-Table-Werbeanzeige. Denn obschon diese Herrentoilette über sechs Schubladen und einen kleinen Schrank verfügt, schreibt Bertuch, diese reichten kaum für die Bedürfnisse einer vollkommenen Herrentoilette,


deren Verzeichniss wir zwar nicht zu entwerfen wagen, davon die Summe aber bey einem vollkommenen Elegant, wie uns Kenner versichern, so gross und zahlreich seyn soll, dass sie, die Essenzen und Schminken mitgerechnet, wohl schwerlich in diesem Tische den nöthigen Raum haben möchte. [24]



Einblick in die linke Schublade: Flacon, Dosen und Büchsen für Pomade, Schwämme und Pulver aller Art. Die englische Zahnbürste von 1793. Bild: Fabrice Robardey


Eine Shaving-Table auf dem heutigen Antiquitätenmarkt zu finden, ist sehr schwierig.


Die Shaving Table aus Bertuchs Journal des Luxus und der Moden. Quelle: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00107624/JLM_1788_H012_0028.tif


Weitaus häufiger aufzutreiben sind die französischen Äquivalente. Diese erfüllen die Funktion eines Schreibtischs, wenn die Tischplatte geschlossen ist, und verwandeln sich in einen Rasiertisch, wenn diese hochgeklappt ist. Die aufklappbare Tischplatte enthält auf der Unterseite einen grossen Quecksilberspiegel und verbirgt als Schreibtischoberfläche eine darunter liegende Marmorplatte. Diese ist gerade beim Hantieren mit Flüssigkeiten bei der Toilette von Vorteil. Das Schreibzeug befindet sich in der mittleren Schublade, wohingegen die seitlichen Schubladen Raum für das Toilettenzubehör bieten.

Darunter fallen im 18. Jahrhundert in jedem Fall zwei Behältnisse für Seife und Schwamm. Diese finden wir ebenfalls in noch vollständigen Toilettenzubehören wie jenem von Königin Louise [25]. Dass gerade darin die Rasierseife Platz findet, fusst auf dem Kupferbeschrieb aus dem Artikel zum Beruf des Perruquier-Barbier-Baigneur-Étuviste in der Encyclopédie von Diderot und Alembert [26]. In deren Bildlegende wird diese als boîte à savonnette [27] bezeichnet. Wir hätten diese jedoch auch in eine der versilberten Büchsen stecken können [28]. Fabrice’ Arbeit ist es zu verdanken, dass durch seine Kartonage- und Tapezierarbeit jeder Toilettenartikel in den Schubladen des Toilettentischs seinen sicheren Platz hat.


Alaun oder eau de perle?


Nach der Rasur sucht so einige Männer das feu du rasoir heim. Seit spätestens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird dagegen der Alaunstein verwendet. Leider haben wir für diesen Gebrauch im 18. Jahrhundert keinen Nachweis gefunden. Gegen das Brennen der Haut nach der Rasur finden sich im 18. Jahrhundert jedoch Werbeanzeigen von Parfumeuren. So wirbt 1760 der Parfumeur Dubois im Mercure de France für sein eau de perle:


[S]ans être du fard, [l’eau de perle] a la vertu d’ôter toutes les taches auquelles les peaux fines sont sujettes. […] Les hommes s’en servent aussi, après que la barbe est faite. Elle ôte le feu du rasoir, rafraîchit & conserve la peau. [29]


Ohne eine Schminke zu sein, hat das eau de perle die Eigenschaft, alle Flecken, für welche empfindliche Hauttypen allfällig sind, zum Verschwinden zu bringen. Die Männer bedienen sich dessen nach der Rasur. Es stillt das Brennen auf der Haut nach dem Rasieren, erfrischt und pflegt.


Alternativ zum eau de perle finden sich in verschiedenen Werbeanzeigen des späten 18. Jahrhunderts verschiedene Essigwasser gegen das feu du rasoir. Stellvertretend eine aus einer Ausgabe des Mercure de France von 1789, hergestellt vom Sr. Maille, dem Vinaigrier du Roi :


Le Vinaigre pour ôter le feu du rasoir, qui vient d’être perfectionné par l’addition de plusieurs simples balsamiques qui le parfument agréablement; en rafraîchissant l’épiderme, ce Vinaigre prévient les boutons & les dartres farineuses; […]. [30]


Der Essig stillt das Brennen auf der Haut nach der Rasur. Er wurde kürzlich durch Zugeben mehrerer einfacher Düfte, die ihn gut riechen machen, verbessert: er erfrischt die Haut und verhindert die Entstehung von Pickeln und Hautflechten.


Spätestens nach der Rasur – die der Herr also ganz alleine bewerkstelligen kann – muss sich der Herr seines Haars annehmen. Am Ende des 18. Jahrhunderts tragen einige junge Herren zwar ihr Haar schon ungepudert. Pomade und Puder gehören bei den älteren Semestern aber zur Haarpflege dazu. Wer sich für die zeitgenössische Herstellung von Haarpomaden und Haarpuder interessiert, lese deren Herstellung bei Hochheimer nach [31]. Im Oktober 1790 macht uns der Herausgeber des Journal de la Mode et du Goût darauf aufmerksam, dass bei den Herren die Mode aufkommt, ihr Haar nicht mehr in Rollen zu legen, sondern zu einem losen Zopf zu binden:


La coëffure des jeunes gens est devenue très-simple; il en est même plusieurs qui ont fait couper les cheveux en rond, et qui les portent sans poudre. Celui que nous représentons ici est coëffé d'un simple crépé, qui, des faces et du toupet, ne forme qu'une seule masse arrondie en tombant sur une espèce de catogan. [32].


Die Frisur der jungen Männer ist sehr schlicht geworden. Es gibt sogar solche, die sich die Haare rundherum abgeschnitten haben und sie ohne Puder tragen. Jener, den wir hier abbilden, trägt das Haar einfach toupiert, und zwar seitlich vom Scheitel wie auch am Hinterkopf, sodass es im Nacken zu einer einzigen rundlichen Masse zopfartig gebunden wird.


Die Haartracht unseres Maître fusst auf diesen Beschreibungen.


Jean hat eben das Haar seines Maître gekämmt, mit Pomade behandelt und trägt nun den Haarpuder auf. Bild: Fabrice Robardey. Ort: Schloss Jegenstorf


Voulez-vous aussi un mouchoir?


So lautet die Frage des Bedienten Jean an seinen Herrn. Und tatsächlich will dieser eines. Es fragt sich bloss wofür und was er damit anstellt. Bei der Suche nach einem Nachweis dafür, dass unser Dichter Goethe ebenfalls zu jenen Herren des 18. Jahrhunderts gehörte, welcher seine Taschentücher parfümierte, machte Alessandra einen erstaunlichen Fund. Dieser führt uns auf wunderliche Weise direkt zurück zu Meidingers Text, und zwar insofern es sich um das von Genette beschriebene Phänomen der hypertextuellen Transformation handelt [33]. Einfach gesagt, liegt eine solche vor, wenn ein Stück Literatur implizit auf einem erkennbar verwandelten Vorgängertext beruht. Es wird im Hypertext ein Vorgängertext (Hypotext) zitiert, indem gewisse Elemente davon transformiert werden. In der Tat lesen wir im Französischlehrbuch The Complete French Master von 1720 von Meidingers Berufskollegen Able Boyer im dialogue pour s’habiller:


Donnez-moi un mouchoir.

En voilà un bien blanc.

Parfumez ce mouchoir.

Donnez-moi le mouchoir qui est dans la poche de mon juste-au-corps.

Je l’ai donné à la blanchisseuse; il était sale.

Vous avez bien fait.

A-t-elle apporté mon linge.

Oui, Monsieur, il n’y manque rien.

Quelle cravate mettez-vous aujourd’hui. [34]


Man braucht nicht über eine aussergewöhnliche literarische Sensibilität zu verfügen, um Meidingers Dialog als eine hypertextuelle Umschreibung von Boyers Dialogversatzstücken zu erkennen. Eine systematische Auswertung der Meidingerschen Dialoge vor dem Hintergrund des Boyerschen Hypotextes brächte in jedem Fall sicher so einige syntaktische, grammatische und idiomatische Parallelen zum Vorschein. Doch an dieser Schwelle zur Literaturwissenschaft endet unsere vorläufige Arbeit zu Meidingers Dialog. Wir haben diesen in unserem Kurzfilm lediglich als Ausgangspunkt genommen, um dem interessierten Publikum vorzuführen, wie die Morgentoilette eines Mannes von Welt am Ende des 18. Jahrhunderts hätte aussehen können.


Zum Schliessen der engen Frackärmel bedarf es Jeans Hilfe. Bild: Fabrice Robardey. Ort: Schloss Jegenstorf


Inwiefern sich bei unserer Inszenierung des Meidinger-Dialogs allenfalls anachronistische Vorstellungen hineingeschlichen haben, kann nur ein weiteres Quellenstudium diverser Primärtexte aus dem späten 18. Jahrhundert zeigen. Für Hinweise hierzu sind wir wie immer dankbar.



Nachdem der Herr sein Schlafzimmer verlassen hat, gibt es für Kammerfrau Ninon so einiges zu tun. Auch den Haarpuder auf dem Parkett gilt es wegzuwischen. Bild: Fabrice Robardey. Ort: Schloss Jegenstorf

[1] Meidinger, Johann Valentin, Nouvelle grammaire allemande-pratique ou Méthode facile et amusante pour apprendre l’allemand, Koenig, Paris, 1801. Im Folgenden mit dem Sigel M1801. [2] Ibid. S. 387. [3] Siehe hierzu den Artikel von Reinfried, Markus, Les exercices de grammaire dans les manuels de FLE en Allemagne. De Meidinger à Ploetz (1783 – 1880), in: L’exercice dans l’enseignement des langues, Berré, Michel, Vigner, Gérard (Hrsg.), Société internationale pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde, 2019. [4] Meidinger. Johann Valentin, Practische französische Grammatik, Frankfurt, 1783. [5] In dieser Frage verweise ich auf die Artikel, welche Bertuch zur Frage der Anredepronomen in seinem Journal veröffentlicht hat. Siehe vor allem: Bertuch, Friedrich Justin, Das Journal des Luxus und der Moden, November 1787, S. 363 – 374. In Meidingers Dialog sind die Sprechakte des Dieners konsequent indirekt (Vous plaît-il que… Vous plaît-il de…), wobei jene des Herrn konsequent direkt und ohne Modalisatoren auskommen (Dépêchez-vous et apportez-moi mes habits!). [6] Meidinger, Johann Valentin, Nouvelle grammaire allemande-pratique ou Méthode facile et amusante pour apprendre l’allemand, François Lemarié, Liège, 1797. Im Folgenden mit dem Sigel M1797. [7] M1797, S. 389: Die für das späte 18. Jahrhundert archaische und für das klassische Französisch des 17. Jahrhunderts typische Konstruktion «Dépêchez-vous et m’apportez mes culottes» wird in der Ausgabe von 1801 zu: «Dépêchez-vous et apportez-moi mes culottes.» M1801, S. 399. [8] Ebd. S. 399. [9] Ebd. S. 400. [10] Ebd. [11] Ich verzichte diese Frage betreffend aus Gründen des Jugendschutzes auf jegliche Bildquellen. Wer von den Leser*innen mir einen einzigen authentischen Nachweis von Unterhosen tragenden Herren im 18. Jahrhundert erbringt, erhält von mir eine Brioche gesponsert. Unzählig sind hingegen pornographische Kupfer und Emailmalereien auf Taschenuhren, welche uns über das Gegenteil unterrichten. [12] Lebrun, Jean-Antoine, Magasin des modes nouvelles, françaises et anglaises, 15ème cahier, Paris, 21. April 1789, S. 113. [13] Saint-Ursin, P. J. Marie, L’ami des femmes, Barba, Paris, 1804, S. 327. Sämtliche Quellen zur Frage der Dentalhygiene verdanke ich Alessandra Reeves. [14] Siehe Bertuch, Friedrich Justin, Journal der Moden, Weimar, Dezember 1788, S. 497. [15] Consbruch, Georg Wilhelm, Ebermaier, Johann Christoph, Allgemeine Encylopädie für practische Ärzte und Wundärzte, Johann Ambrosius Barth, Leipzig, 1803, S. 450. [16] Hochheimer, C. F. A., Allgemeines ökonomisch-chemisch-technologisches Haus= und Kunstbuch, oder Sammlung ausgesuchter Vorschriften zum Gebrauch von Haus= und Landwirthe, Professionisten, Künstler und Kunstliebhaber, M. I. C. Hoffmann (Hrsg.) Voss und Compagnie, Leipzig, 1803, S. 491. [17] Perret, Jean-Jacques, La Pogonotomie ou l’Art d’apprendre à se raser soi-même, avec la manière de connoître toutes sortes de Pierres propres à affiler tous les outils ou instrumens; & les moyens de préparer les cuirs pour repasser les rasoirs, la manière d’en faire de très-bons; suivi d’une observation importante sur la Saignée, Yverdon, 1770. Im Folgenden mit dem Sigel P1770. [18] P1770, Préface, S. IV – VII. [19] Bertuch, Friedrich Justin, Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Dezember, 1788, S. 496. [20] Wer sich für die Umsetzung von Perrets Instruktion interessiert, schaue sich die Arbeiten von Sean Considine an (https://www.youtube.com/watch?v=nzr2B7oEjqg&t=1196s). Wir verweisen ebenfalls auf den Blog http://razorland55.free.fr/dream_razor.htm, welcher einen breiten Überblick über Rasierklingenformen und Rasierzubehöre des 18. und frühen 19. Jahrhundert bietet. [21] An dieser Stelle danke ich Thys Grobelnik für seine Recherchen zu Rasiermesserformen im 18. Jahrhundert und auch für seinen Rasierkurs, der es mir ansatzweise ermöglicht hat, die wenigen Sekunden für den Kurzfilm heil zu überstehen. [22] P1770, S. 58 – 59. [23] P1770, S. 60. [24] Bertuch, Friedrich Justin, Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Dezember, 1788, S. 497. [25] Ich danke Sabine Schierhoff von www.kleidungum1800.blogspot.com für diesen Hinweis. [26] Perruquier-Barbier-Baigneur-Étuviste, in: Encyclopédie méthodique. Arts et métier méchaniques, Band 6,. Diderot, M. M., D’Alembert (Hrsg.), Paris, Panckoucke, 1789. [27] Ebd. S. 314. [28] An dieser Stelle danke ich der französische Antiquitätenhändlerin Valérie Pagé von Noblesse des Grands Siècles für ihre Hilfe beim Aufstöbern der für das Projekt notwendigen boules à savon et éponge sowie die verschiedenen boîtes à pommade et à éponge. [29] Mercure de France, Paris, Chaubert (et al.), Februar 1760, S. 255. Eine Werbeanzeige für das eau de perle findet sich ebenso in der Gazette d’Utrecht No XXIX vom April 1760, letztes unpaginiertes Blatt. [30] Mercure de France, Paris, Mai 1789, S. 188. [31] Hochheimer, C. F. A., Allgemeines ökonomisch-chemisch-technologisches Haus= und Kunstbuch, oder Sammlung ausgesuchter Vorschriften zum Gebrauch von Haus= und Landwirthe, Professionisten, Künstler und Kunstliebhaber, M. I. C. Hoffmann (Hrsg.) Voss und Compagnie, Leipzig, 1803, S. 487 – 488. [32] Lebrun, Jean-Antoine, Le journal de la mode et du gout, 23.Cahier, Paris, 5. Oktober 1790, S. 2 -3. [33] Genette, Gérard, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Suhrkamp, 1993. [34] Boyer, Abel, The Complete French Master, for Ladies and Gentlemen; Familiar dialogues, London, 1720, S. 244.

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2 Comments


kleidungum1800
kleidungum1800
Aug 12, 2022

Der Blogbeitrag ist wieder einmal ein Lichtblick und großartiges Lesevergnügen, der unbedingt mehr Beachtung verdient. Vielen Dank für den vertiefenden Blick hinter die Kulissen des Videos "Le Lever de Monsieur", welches Chodowieckis Kupfer höchst unterhaltsam zum Leben erweckt. Eure Liebe zum Detail für den Alltag der 1790er Jahre, das Entschlüsseln von Kleidung, Sprache und Abläufen des Alltäglichen schafft ein stimmiges Bild und den Wunsch mehr über die Zeit über die Kleidung hinaus erfahren zu wollen. Vorzüglich!

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J.-G. Heurteloup
J.-G. Heurteloup
Aug 12, 2022
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Es freut mich sehr, dass Du Dir die Zeit für die Lektüre genommen hast. Das Kupfer von Chodowiecki habe ich leider nicht präsent, und kenne doch so einige Arbeiten von ihm! Schicke es mir doch bei Gelegenheit! Mit herzlichem Gruss aus Basel!

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