Von Christian Robardey-Tanner
Da Monsieur Heurteloup gerne regelmässig Zeitausflüge unternimmt, möchte er auch seine Lieben auf seine Reisen mitnehmen. Oftmals sind es Originale, die ihm zurufen: «Lass Dich von mir inspirieren, ich will als Nacharbeitung von dieser oder jener Person getragen werden!»
Im Zürcher Landesmuseum steht in der Vitrine mit Schweizer Textilien aus dem 17. bis zum 20. Jahrhundert unter anderem ein seidenes gestreiftes und geblümtes Ensemble bestehend aus einem Caraco und einem Rock, das nachweislich aus Richterswil am Zürichsee stammt. Und schon als Jugendlicher sah Heurteloup bei seinen Museumsbesuchen darin seine Mutter. Doch erst ein ähnliches Ensemble aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art machte Heurteloup zwanzig Jahre später klar, dass er sich nun an die Arbeit zu machen hatte, um die Frau Mamma einzukleiden.
Als erstes bedurfte es passender Unterwäsche. Bernhardts Schnürleib Figur D (http://kleidungum1800.blogspot.com/search?q=Schn%C3%BCrleib) erwies sich als valable Alternative zur vollversteiften Schnürbrust, welche der Trägerin nicht behagt hätte. Das Modell ist ganz ohne Keile gearbeitet. Wäre die Arbeit heute nochmals anzufangen, würde sich Heurteloup an Sabine Schierhoffs neuesten Erkenntnissen zu diesem Modell orientieren (siehe: https://kleidungum1800.blogspot.com/2018/02/js-bernhardt-1790er-schnurleib-studien.html). Nach einem Probemodell entstand aus einem coupon de Saint Pierre aus Seidentaft und altem Leinen der Schnürleib. Die Nähte wurden mit einer handgedrehten Baumwollkordel ausgekleidet.
Während der Arbeit an Mutters Schnürleib führte eine Reise Heurteloup nach dem fernen Lyon zu einem Stoffhändler, wo er nach langem Suchen sich für einen gestreiften Seidenstoff erwärmen konnte – dessen mittelmässiger Qualität zum Trotz. Es war der einzige Seidenstoff, der ihn wenigstens vage an die französische Vorlage aus dem Metropolitan Museum of Art erinnerte.
Betrachtet man sich das Original von nahem, sieht man, dass beim Caraco die mittlere Rückennaht des Oberstoffes mit Rückstichen gearbeitet ist, wohingegen die seitlichen Rückennähte des Oberstoffes mit feinen Punktstichen durch das Futter erfolgten. Zuerst wurde bei der Nacharbeitung also das Futter fertiggestellt, wobei dessen mittlere Rückennaht mit zwei Stäbchen versteift wurde. Die seitlichen Rückennähte blieben unversteift. Die Vergrösserung der Fotografie zeigt, dass die Schösschen ungefüttert sind. Die pièce d'estomac fehlt beim Original. Somit blieb es Heurteloup frei gestellt, eine nach seinem gusto zu erfinden. Er hat sich dazu entschieden, die pièce d'estomac mit Häkchen und Ösen zu befestigen.
Wenn seine Modelle gerade nicht zur Stelle sind, muss sich Heurteloup anderweitig behelfen. Und so müssen seine Kopfkissen immer wieder einmal als Ersatzdamen für seine Probemodelle und Arbeiten herhalten.
Die Anpassungen und das Zuschneiden und Nähen der Ärmel erfolgten hingegen im Hause der Frau Mamma. Auch die agrémens der Ärmel entstanden auf dem Lande.
Zunächst blieb der Rock des Ensembles – entsprechend dem Original – ganz ohne falbalas oder anderweitigen Zierrat. Doch nach einem ersten Besuch des Hauses Kirschgarten mit Mutter Heurteloup im Juli und Monsieur de Feule machte sich im dunklen Winter ein Nähloch breit, das überbrückt werden musste. Es fand sich noch genug Reststoff, dass daraus für den Rocksaum agrémens gefertigt werden konnten. Und da Heurteloup von seiner lieben Bekannten Maren ein Zäckeisen erwerben konnte, sollte dieses bei dieser Gelegenheit auf seine Tauglichkeit überprüft werden – sehr zum Missvergnügen seiner Nachbarn. Beim Fertigen der Dekoration bestand die Freude darin, zu erfahren, dass sie erst durch Stückeln vervollständigt werden konnte. Es gibt wenig Erfreulicheres, als zu erfahren, dass von einem Stoffkauf kein verwendbares Stoffstück mehr übrig bleibt und alles für ein Kleid Verwendung finden konnte!
Unter dem Rock trägt Madame mère nebst einer Chemise, ein breites coussin und zwei Unterröcke. Einen aus Baumwolle und einen über hundert Jahre alten, ganz handgenähten französischen Linon-Jupon mit aufwändig gefertigten plis religieuses. Ist es nicht wunderbar, dass ein solches Stück Heimarbeit, woran so viele Stunden Arbeit und Gedanken hängen, nach einer hundertjährigen Pause wieder Verwendung findet?!
Doch mit dem Kleid alleine war es nicht getan. Mère Heurteloup brauchte auch einen passenden Kopfschmuck. Hierbei fand Heurteloup fils bei zwei lieben Freundinnen Rat. Fräulein von Traitteur und Gabriela gaben ihm ihr Wissen zum Nähen von Hauben weiter. Und so setzte sich Heurteloup drei Tage lang vierzehn Stunden an den Tisch und nähte seine erste Haube und die dazugehörige barbe. Diverse Reststoffe aus Baumwollbattist fanden sich in seinen Stoffschachteln. Das Bügeleisen blieb drei Tage lang sein ständiger Begleiter. Eine alte französische barbe aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigte Heurteloup, wie klein er die Stiche auszuführen hatte. Besonders viel Zeit brauchte das Ziehen der vielen Fäden, damit die barbe auch möglichst exakte Säume erhielt.
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